Die Idee der kritischen Prüfung ist eine methodische Idee, die darauf zurückgeht, daß unser Denken und Handeln der Irrtumsmöglichkeit unterworfen ist, so daß derjenige, der ein echtes Interesse an der Wahrheit hat, daran interessiert sein muß, die Schwächen und Schwierigkeiten seiner Denkresultate und Problemlösungen kennenzulernen, Gegenargumente zu hören und seine Ideen mit Alternativen konfrontiert zu sehen, um sie vergleichen, modifizieren und revidieren zu können. Nur Anschauungen, die kritischen Argumenten ausgesetzt werden, können sich bewähren. Nur auf dem Hintergrund alternativer Auffassungen lassen sich die Vorzüge und Nachteile bestimmter Konzeptionen beurteilen. Es lohnt sich daher immer, ernsthaft zur Diskussion stehende Ideen in eine Form zu bringen, die solche Vergleiche ermöglicht und ihre Prüfung erleichtert und sie dann tatsächlich mit Alternativen und Argumenten zu konfrontieren. Nur in diesem Fall haben sie Gelegenheit zu zeigen, was sie für die Weltorientierung leisten.
Category: .Albert, Hans
The success of science
Der ungeheure wissenschaftliche Fortschritt in den letzten Jahrhunderten ist vor allem wohl darauf zurückzuführen, daß in diesem Bereich der Hang zur Dogmatisierung immer wieder überwunden werden, daß sich die Tradition des kritischen Denkens in der Konkurrenz der Ideen und Argumente immer wieder durchsetzen konnte. Die in diesem Bereich oft vorherrschende positive Akzentuierung neuer und kühner Ideen, eine entsprechende Einstellung der relativen Unvoreingenommenheit und Irrtumstoleranz, bei der der Andersdenkende meist nicht als Ketzer diffamiert, sondern oft sogar als willkommener Diskussionspartner betrachtet wird und man bereit ist, unter Umständen von ihm zu lernen, findet in anderen Bereichen, vor allem da, wo institutionell verankerte ideologische Bindungen bestehen, im allgemeinen keine Entsprechung.
A critical point on science literacy
Nicht selten wurden … die Resultate kritischen Denkens allmählich mehr oder weniger stillschweigend übernommen und assimiliert, was aber der kritischen Einstellung an sich keineswegs immer die entsprechende Anerkennung verschafft hat … .
The supposed limits of the critical method
Erstaunlicherweise pflegt man im deutschen Sprachbereich gerade eine der ältesten und darüber hinaus eine der wirksamsten und für unsere kulturelle und soziale Entwicklung bedeutsamsten Traditionen des europäischen Denkens nicht selten zu vergessen, zu bagatellisieren oder gar zu diffamieren, oder aber sie zumindest als fragwürdig zu behandeln: nämlich die Tradition des kritischen Denkens und der kritischen Diskussion, der unvoreingenommenen Analyse und Prüfung von Anschauungen, Wertungen, Autoritäten und Institutionen. Die bei uns noch immer weitverbreitete Gewohnheit, kritisches Denken mit einem negativen Wertakzent zu versehen, mag dazu verleiten, daß man die Rolle und die historische Bedeutung dieser Tradition falsch einschätzt, zumal sich alle möglichen Verfechter von Auffassungen, die durch kritische Untersuchungen gefährdet sind, große Mühe geben, eine solche Fehleinschätzung zu fördern und den Wirkungsbereich der Kritik nach Möglichkeit einzuschränken.
The ethics of thinking
Die Methode der kritischen Prüfung, für deren Anwendung sie keine Grenzen anerkennen muß, gehört zu einer Moral des Denkens, von der Verfechter moralischer Dogmen vielfach keine allzu große Meinung zu haben pflegen, auch wenn sie im Interesse der Wahrheit zu argumentieren scheinen.
Renewing the Enlightenment
Die Tradition der Aufklärung, für die man im deutschen Sprachbereich so selten einen Fürsprecher findet, wird von einem neu durchdachten konsequenten Kritizismus her erneuert werden müssen.
The enemy of truth and rationality
Es gibt ein totales Engagement, das die unvoreingenommene Wahrheitssuche und das kritisch-rationale Denken beseitigt oder zumindest beeinträchtigt und das im Endeffekt – gleichgültig, ob es im Namen des Glaubens und einer göttlichen Macht, im Namen der Geschichte oder in dem der Vernunft in Erscheinung tritt – immer wieder zu totalitären Konsequenzen geführt hat. […] Es kommt hier vielmehr darauf an, daß unter gewissen strukturellen Gesichtspunkten Katholizismus, Kalvinismus, Kommunismus und Faschismus zusammengehören, nicht etwa, weil alle diese historisch sehr komplexen Phänomene in jeder Hinsicht gleichartig oder auch nur gleichwertig wären, sondern weil in ihnen das extreme Gegenteil der im analytischen Denken postulierten Neutralität wirksam war oder ist: die blinde Parteilichkeit, der gehorsame Glaube, das unkorrigierbare Engagement. [5-6]
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